Haftstrafen trotz mangelnder Beweise
Im Zweifel für die Staatsanwaltschaft.
Eigentlich hieß es immer „Im Zweifel für den Angeklagten“. Das kommt jedoch heutzutage mitunter auf die Straftat an. Denn der überwiegende Teil der Richter in Deutschland hat nie bis selten als Verteidiger gearbeitet. Sie kommen zumeist aus der Staatsanwaltschaft.
2017 gab es in Deutschland 716044 Verurteilungen. Nicht alle davon erzählen eine tadellose Beweiskette. So werden Berechnungen, die teilweise aus Wahrscheinlichkeiten bestehen zu ‚unwiderlegbaren Beweisen‘, etwa wenn es um Zeitabläufe oder Aufenthaltsorte geht.
„Der ist es gewesen!“
Eine Feststellung kommt immer am Anfang jedes Plädoyers. Auch bei der Staatswaltschaft. Überzeugung ist dabei alles. Danach kommt die begangene Tat und danach die Beweise, die für die Schuld sprechen. Offiziell sind Anscheinsbeweise im Strafrecht nicht legitim. Besonders nicht dann, wenn es darum geht, ob ein Verbrechen vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde. Trotzdem werden diese gerne im Plädoyer angeführt. Die Staatsanwaltschaft schiebt die Verurteilung aufgrund der Anscheinsbeweise dann gerne auf den Richter. Auch ohne den Anschein zu benennen.
In den Augen der Staatsanwaltschaft muss ein Richter soviel Kompetenz aufweisen, um einen Anscheinsbeweis, ohne Benennung des Solchen, zu erkennen.
Auftritt Verteidiger
Der Verteidiger erkennt den Anschein dann sehr wohl und fügt diesen dann mit ein. Es sind dann die berufsmäßigen Zweifel an der Schuld des Klienten.
Der Bundesgerichtshof ist bekannt dafür, dass er Freisprüche gerne mal aufhebt. Der BGH benennt da gerne mal „überspannte Anforderungen an den Beweis der Schuld“.
Der Verteidiger gibt seinen Einwurf ein und findet sich dann gerne mal gegen Richter und Staatsanwalt wieder. Kaum ein Staatsanwalt muss sich gegen einen Richter so erklären, wie es ein Verteidiger muss.
Der Staatsanwalt gibt praktisch die Informationen vor Gericht direkt an den Richter weiter, der diese dann in den Schuldspruch aufnimmt.
Der Verteidiger wiederum muss, zusammen mit seinem Klienten, dann plötzlich Fragen des Richters beantworten und Vorwürfe der Staatsanwaltschaft entkräften und Behauptungen stichhaltig belegen.
Die Schuld
Tatsächlich müssen Anwesenheit und Tat im Strafprozess genau bewiesen sein. Nur die Zeugenaussagen reichen da nicht aus. Auch Zeugenaussagen der Anwesenheit ohne Beweis der Tat sollten eigentlich nicht ausreichen.
Auch die Beweisaufnahme muss eigentlich genau erklärt sein. Gehen wir von einem Tötungsdelikt aus, müsste jeder Polizist benannt sein, der ein Beweisstück angenommen und weitergegeben hat. Besonders hier muss der Unterschied zwischen Fahrlässigkeit und Vorsatz genau erklärt sein.
Doch viele Urteile lesen sich da anders. Besonders bei Tötungsdelikten. In Urteilen, die wir als Redakteure aus dem Internet fischten, ist vielfach nur von Zeugen die Rede. Und vom Motiv. Und in einem Urteil lässt sich der Satz zitieren: „Der Beklagte war zum Tatzeitpunkt am Tatort anwesend.“ Fehlend eindeutiger Beweise des Tatzeitpunkts (Es kann nicht wirklich ein Thermometer in das Opfer gesteckt werden und der Zeitpunkt ermittelt werden. Es kann so nur ein ungefährer Tatzeitpunkt ermittelt werden).
Trotzdem folgt die Verurteilung auf dem Fuße.
Der Deal
Die „Verständigung im Strafverfahren“ ist tatsächlich mehr ein Sammelsurium an Drohungen von Seiten der Staatsanwaltschaft. Ziel ist es mit dem „Deal“ ein Geständnis zu erreichen, welches die Vorlage von Beweisen und Untersuchungsergebnissen praktisch ersetzt.
Dem Angeklagten wird dann ein, an einem Tisch, von der Staatsanwaltschaft zunächst der Tatverlauf angekündigt, den die Staatsanwaltschaft dem Gericht vortragen will. Dann wird das eigentliche und das verkürzte Strafmaß präsentiert, auf das die Staatsanwaltschaft plädieren will. Die Staatsanwaltschaft setzt hier auch gerne mal auf Mondstrafen, d.h. auf ein Strafmaß, dass nicht einmal der befreundetste Richter annehmen würde, um dann ein Strafmaß anzubieten, welches nicht mal wirklich eine Verkürzung beinhaltet.
Der Verteidiger ist hier anwesend und trägt dann eine echte Verkürzung des Strafmaßes vor. Das Ergebnis liegt dann irgendwo eher bei den Vorstellungen der Staatsanwaltschaft. Der Staatsanwalt hat dann aber noch zusätzlich die Sicherheit der Schuld des Täters, weil er davon ausgeht, dass kein Unschuldiger überhaupt zu solch einer Dealverhandlung erscheint.
Doch diese Sicherheit trügt und so sitzen vermutlich viele Unschuldige im Gefängnis, die Geständnisse unterschrieben haben und nur Angst um die Beweise der Anwesenheit und die Beziehung des Staatsanwalts zum Richter hatten.
Keine unbegründete Angst
Vor dem Landgericht Osnabrück gab es einst einen Prozess um einen mutmaßlichen Vergewaltiger. Zwei Zeugen sagten entlastend für den Beklagten aus. Das Alibi des Beklagten verschwand jedoch aus der Verurteilung ohne jede Erwähnung. Viereinhalb Jahre saß der Mann als Vergewaltiger im Gefängnis. Die Strafe entsprach der exakten Forderung der Staatsanwaltschaft.