30 Prozent Kürzung fürs „nicht lügen“
Arbeit! Das, was Ihr uns mit 8 Euro am Ende des Artikels vergüten könnt (Darüber reden wir später noch).
Am 01. Januar 2005 trat das „Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder vertrat dabei das Prinzip von „Fördern und Fordern“. Arbeitslose sollten mit dem monatlichen Sozialgeld ausgestattet werden, welches gekürzt werden konnte, wenn man „die Mitarbeit verweigerte“. Man könnte argumentieren, dass dies „gut gemeint“ gewesen wäre.
Es entstand eine Geschichte von 17 Jahren, Drohungen, Mobbing, Einschüchterung, Verbalattacken, Erpressungen, Hass und Machtmissbrauch. Gegen Arbeitslose.
Gestern beschloss die Ampel Fraktion, Hartz 4 Sanktionen bis Mitte 2023 auszusetzen.
Der „Fallmanager“
Nach der Seite der Agentur für Arbeit soll der Fallmanager „beraten, vermitteln und begleiten“. Zu diesem „Betreuungsumfang zählt auch die Erteilung von Rechtsauskünften“.
Um als Beschäftigungsorientierter Berater und Fallmanager bzw. als Beschäftigungsorientierte Bera terin und Fallmanagerin zu arbeiten, muss man einen entsprechenden Hochschulabschluss (z.B. Ba chelorabschluss) nachweisen. Grundständiger Studiengang • Beschäftigungsorientierte Beratung und Fallmanagement Zulassungsvoraussetzungen für das Studium • an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit: die allgemeine oder fachgebundene Hoch schulreife oder die Fachhochschulreife
Erfüllt dein Fallmanager diese Voraussetzungen?
In vielen Fällen, die uns vorliegen, sind die Fallmanager ehemalige Angestellte von Ämtern und Behörden, die keine Hochschule besuchten, die teilweise nur eine Realschule besuchten. In anderen Fällen sind die Menschen ehemalige Selbstständige, dessen Betrieb pleite sind. In wieder anderen Fällen sind es Bürokaufleute, die in Rente gingen.
Eine Frau, dessen Geschichte wir gleich noch erzählen, hatte einen ehemaligen Polizeibeamten als Fallmanager, der wegen „Fehlverhaltens“ aus dem Dienst genommen wurde.
Wehrmutstropfen
Wer als Einsteiger, ohne Berufserfahrung, in den Job einsteigen will, muss tatsächlich eine Hochschule besucht haben.
„Warten Sie kurz!“
Ein Fallmanager (der ehemalige Polizeibeamte) beriet eine 22 jährige Frau aus Algerien. Es ist noch nicht einmal die Geschichte, dass er wohl glaubte, Algerische Frauen seien Schwerhörig, weil er beinah jedes Wort, förmlich, sehr laut durchbuchstabierte und jeden Satz beendete mit „KÖNNEN SIE DAS VERSTEHEN?“ (Anfangs noch mit „DU VERSTEHEN?“)
An einem Tag stand er von seinem Tisch auf und sagte zu ihr „Warten Sie kurz!“. Ganze 11 Minuten kam er nicht wieder. Die Frau öffnete die Tür zum Flur und konnte ihn nirgends sehen. Also ging sie.
Tage später bekam sie ein Schreiben, in der ihr eine 30 Prozentige Kürzung des Hartz 4 angekündigt wurde. Sie sei „mitten im Gespräch“ gegangen.
In der Maßnahme
Ein Mann besuchte eine Wiedereingliederungsmaßnahme. Wochenlang übersah er wohl, dass er sich hätte eintragen sollen.
Die Leiterin der Maßnahme wies ihn nach 14 Tagen darauf hin, dass er sich eintragen solle.
Nach etwa 6 Wochen war die Maßnahme fast vorbei und die Leiterin wollte den Mann unbedingt in eine „Tätigkeit“ vermittelt wissen. Der Mann sollte einen Vollzeit Bewerbungs-Dauerlauf absolvieren mit 5 Bewerbungen täglich für die übrigen 10 Tage. Der Mann weigerte sich.
Die Leiterin drohte mit einer Kürzung, und wollte im Gegenzug übersehen, dass 14 Tage „Anwesenheit“ fehlten. Daran, dass sie dem Mann 14 Tage über den Weg lief, wollte sich die Leiterin besser nicht erinnern.
Wöchentliche Betrugsvorwürfe
Eine Frau wurde von der Agentur für Arbeit vorgeladen. Anfangs einmal die Woche. Aus einmal wurden dann dreimal die Woche.
Sie hatte ein Unternehmen von ihren Eltern übernommen, welches still lag. Jedes Beratungsgespräch, in all diesen Wochen, hatte nur ein Thema. Sie sollte das übernommene Unternehmen der Eltern schließen.
Der Vorwurfs des Sozialbetrugs wurde zuerst suggeriert, dann einmal ausgesprochen und am Ende war es das ständige Thema (3 mal die Woche). Dann wurde ihr die Kürzung des Sozialgeldes angedroht. Als der Fallmanager diese Kürzung nicht umsetzen konnte, kündigte er ihr einfach an, dass er die Auflösung des Unternehmens zu seinem Ziel gemacht hätte.
Das Unternehmen gibt es heute noch.
„Wir sehen uns in einer Stunde.“
Eine Fallmanagerin in Köln hat gleich auf lästige (rechtsverbindliche) Einladungen verzichtet und nutzte gleich die Telefonnummer des Arbeitslosen. Der Mann wurde angerufen. Wieder und wieder und wieder. Sie gab dem Mann eine Telefonnummer und die sollte der Mann auf der Stelle anrufen. Sie würde dann in 20 Minuten noch mal anrufen und nachfragen, was aus der „Arbeitsvermittlung“ herausgekommen ist.
Er solle bei der Arbeitsagentur „vorbeischauen“, gefolgt von einem „Wir sehen uns in einer Stunde.“
Auch sie machte dem Mann am Telefon klar, dass er eine Kürzung erfahren würde, wenn er nicht kooperiert.
Als er den Hörer nicht mehr abnahm, bekam er Textnachrichten. Als er diese ignorierte leitete sie tatsächlich ein Kürzungsverfahren ein.
Das ist keine Lüge
In einer Maßnahme mussten Leute Bewerbungen schreiben. Ein junger Mann hatte in seiner Bewerbung seine einjährige Haftstrafe mit angegeben.
Der Leiter der Maßnahme nahm einen roten Stift und machte ein rotes X durch die Angabe der Haftstrafe, auf dem ausgedruckten Lebenslauf“. Sowas könne man noch im Bewerbungsgespräch erwähnen (so ganz nebenbei).
Später stand Aussage gegen Aussage. Der junge Mann, der die Bewerbung schrieb, wollte irgendetwas, in diesem Zeitraum, in den Lebenslauf schreiben. Er sagte, der Leiter der Maßnahme hätte gesagt, er solle sich da „etwas einfallen lassen“ (das wäre keine Lüge, weil der Arbeitgeber damit rechne, dass Haftstrafen nicht in Lebensläufen stehen). Aber die Haftstrafe solle er nicht erwähnen.
Im Bewerbungsgespräch erzählte der junge Mann von seiner Haftstrafe und wurde dann nicht vom Betrieb aufgenommen.
Die Agentur für Arbeit bekam vom Leiter der Maßnahme die Empfehlung für eine 30 prozentige Kürzung.
Angeschrien und Gekürzt
Zugegeben, in diesem Fall hat sich, nach knapp 2 Monaten 100 Prozentiger Kürzung, ein Münchener Sachbearbeiter, aus dem Jahr 2011, nach Eingang einer Strafanzeige, selber verantworten und sich entschuldigen müssen.
Nach seinen Angaben gab es gar keine Kürzung, weil ja gar kein genehmigter Weitergewährungsantrag vorlag (weil er die Genehmigung verweigerte).
Die Frau, die er als „Vollversagerin“ und „Sozialschmarotzer“ bezeichnete und gegen die er selbst „Anzeichen des Sozialbetrugs“ untersuchte, ist schon mal, nach unseren Recherchen, womöglich nicht die einzige.
Gestern wurden die Sanktionen zunächst einmal ausgesetzt
Bis Mitte 2023 wurden Sanktionen um Hartz 4 erst einmal ausgesetzt.
CDU Bundestagsabgeordneter Kai Whittaker schrieb auf Twitter:
Die
will Hartz IV-Sanktionen quasi abschaffen. Ich kann weder einem Arbeiter erklären, warum von seinem hart erarbeiteten Geld Arbeitsverweigerer finanziert werden sollen, noch einem Arbeitssuchenden, der sich an alle Regeln hält und am Ende der Dumme sein soll. #Bundestag
Wie an unschwer erkennen kann, sind wir „Arbeiter“. 17 Jahre wurden Erpressungen, Drohungen, Lügen und Machtmissbrauch finanziert (Fallmanager bekommen sogar weit mehr Geld als Menschen im Bezug). Vom hart erarbeiteten Geld.
Wir sagen auch mal „Danke!“
Euer hart erarbeitetes Geld soll bei uns, mit interessanten Artikeln, vergolten werden. Danke, dass ihr uns da unterstützt.